Beim Vermitteln von Wissen lassen wir oft einen entscheidenden Punkt aussen vor: Das Zuhören. Ein Plädoyer für eine unprätentiöse, aber wirkungsvolle Technik.
Wenn wir über Wissenskommunikation reden, betonen wir oft, wie wichtig gutes Storytelling ist. Auch legen wir grossen Wert darauf, die passende Sprache zu finden, um Wissen zielgruppengerecht und effektiv zu vermitteln. Und wir mahnen, dass wir viele jüngere Menschen nur erreichen können, wenn wir auf denjenigen Plattformen und Kanälen präsent sind, die sie in ihrem Alltag tatsächlich nutzen.
Alles richtig und wichtig! Aber ein ganz entscheidender Punkt, der eigentlich noch vor den erwähnten Komponenten kommt, fehlt dabei: das Zuhören. In vielen Projekten rund um Wissensvermittlung, die ich in den letzten Jahren mitgestaltet habe, bin ich immer wieder auf Gründe gestossen, die dafür sprechen, das Zuhören an die erste Stelle zu setzen:
- Erfahren, was die Menschen beschäftigt. Oft meinen wir, eine Ahnung davon zu haben, was die Öffentlichkeit an einem bestimmten Wissensgebiet besonders interessiert, wo bereits Vorwissen da ist und wo besonders grosse Wissenslücken klaffen. Sobald wir aber anfangen, verschiedene Menschen aus unserer Anspruchsgruppe gezielt zu befragen, werden wir überrascht. Und denken in der Folge nochmals darüber nach, auf welche Themen wir den Schwerpunkt in unserem Vermittlungsprojekt tatsächlich legen sollten.
- Hören, welche falschen Vorstellungen verbreitet sind. «Unmittelbar nach dem Essen schwimmen gehen ist gefährlich»… «Wer sich im Winter nicht warm anzieht, ‚erkältet‘ sich und kriegt Schnupfen»… «Wir alle sind entweder ‚Typ rechte Gehirnhälfte‘ oder ‚Typ linke Gehirnhälfte‘, und das prägt unseren Charakter»… Wir wissen inzwischen, dass diese Mythen kursieren. Aber wenn wir die Leute ganz gezielt zum Wissensgebiet unseres Projekts befragen, werden wir auf viele weitere Überzeugungen stossen, die wissenschaftlich längst widerlegt sind. In unserem Projekt können wir nun darauf eingehen und sie widerlegen.
- Aufhorchen, wenn Ideen für Forschungsprojekte entstehen. Zu wissen, was die Menschen beschäftigt, hilft beim Ausgestalten von Wissensvermittlungs-Projekten. Aber es kann noch weiter gehen: Schon öfter habe ich erlebt, dass Forscher*innen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, durch die Fragen und Überlegungen eines Laienpublikums Impulse für zukünftige Forschungsprojekte erhielten.
- Signalisieren, dass wir auf Augenhöhe sind. Viele Menschen haben Berührungsängste gegenüber Forscher*innen. Der direkte Dialog mit jüngeren und älteren Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen hilft dabei, diese Berührungsängste abzubauen und zu zeigen: Es sind Menschen wie Du und ich, die sich hier gemeinsam dafür einsetzen, Wissen zu schaffen und nutzbar zu machen.
- Können, was KI nicht kann. Immer öfter wenden sich die Menschen mit Wissensfragen an LLM-Chatbots. Das kann sehr nützlich sein, aber auch dazu beitragen, irreführende Informationen zu verbreiten. Wenn menschliche Wissensvermittler*innen als letzte Instanz gelten wollen, müssen sie ihre Vorteile ausspielen: Im direkten Gespräch oder beim Lesen zwischen den Zeilen erkennen wir, welche Befürchtungen, Hoffnungen und vielleicht weitere, unausgesprochene Fragen hinter den Worten unserer Mitmenschen stecken. Wir können auf ihre Lebenswelt eingehen und unsere Antwort genau darauf ausrichten. (Und das ist nur einer der Vorteile: Weitere erläutert mein Gast Corinna Virchow in der nächsten Episode des Podcasts SciComm Palaver.)
- Erkennen, was die eigentlichen Ziele sind. Wenn ich als Kommunikationsspezialistin mit Forscher*innen gemeinsam an einem Projekt arbeite, erkenne ich manchmal im Lauf eines Projekts, dass Ziele wie Wissensvermittlung nicht unbedingt die vorrangigen sind. Möglicherweise spielt auch Mittelbeschaffung oder Reputationsgewinn eine grosse Rolle? Auch diese und weitere Ziele sind legitim. Gut zuhören kann helfen, sie von Beginn weg zu erkennen und zu definieren, was in der Folge der Projektarbeit zugute kommt.
So gilt in der Wissenskommunikation aus vielfältigen Gründen: Zuhören ist Gold! Habe ich einen Aspekt vergessen, oder seid Ihr mit einigen nicht einverstanden? Ich freue mich über Diskussionsbeiträge.
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