Es gilt für alle Arten von Kommunikationskampagnen: Wenn wir eine Strategie erarbeiten, fassen wir zuallererst unsere Adressaten ins Auge. Wer sind sie? Welches sind ihre Interessen, Bedürfnisse, Hoffnungen, Ängste und Nöte? Dies trifft auch auf die Wissenschaftskommunikation zu, und das aktuelle Beispiel der Covid-Pandemie führt uns eindrucksvoll vor Augen, wie wichtig es ist, sich in die Zielgruppe hineinzuversetzen.

Wie wir, die von der Covid-Pandemie Bedrohten, uns verhalten sollten, um den schlimmstmöglichen Ausgang abzuwenden, ist inzwischen bekannt. Auch wenn hierzulande besonders am Anfang nicht von allen Akteuren einheitlich und zum Teil sogar widersprüchlich kommuniziert wurde, so ist inzwischen die Botschaft klar, sie erreicht die Adressaten – und trotzdem halten sich viele nicht an die notwendigen Massnahmen. Wie ist das zu erklären?

Bis vor kurzem* war der Kern der breit gestreuten Botschaften rund um das Coronavirus überwiegend so genanntes «Public Health Messaging»: Es zeigt uns auf klar verständliche Weise, wie wir uns verhalten sollen, um zu vermeiden, dass wir uns und unsere Mitmenschen gefährden, dass die Gesundheitssysteme überlastet werden, und dass viele schwer erkranken und sterben. «Die Fallzahlen dürfen nicht weiter steigen», lautet die Kernaussage, «sonst….»

Nun gibt es offenbar einen relativ grossen Teil der Bevölkerung, der andere Aspekte ihrer Grundbedürfnisse und Lebensgrundlagen mindestens ebenso massiv bedroht sieht wie ihre Gesundheit. Wohlgemerkt, die Rede soll hier nicht von Covid-Leugnern, Anhängern von Verschwörungstheorien und notorischen Maskenverweigerern sein (da ist Hopfen und Malz verloren) – sondern es geht mir heute um rational denkende Menschen wie Du und ich, mit dem kleinen Unterschied, dass sie sich gezwungen sehen, ihre Prioritäten etwas anders zu gewichten.**

Wenn Menschen ihre unmittelbare wirtschaftliche Existenzgrundlage bedroht sehen oder aber die Grundfesten ihrer sozialen Geborgenheit und mentalen Gesundheit wanken sehen, dann nehmen sie das als existentielle Bedrohung wahr – und diese wiegt möglicherweise für sie genauso viel oder noch mehr als die Bedrohung ihrer Gesundheit. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wäre es erstens wichtig, dass ernstzunehmende wirtschaftliche Unterstützungsangebote bereitgestellt werden, beispielsweise für Kultur und Gastronomie, aber auch Unterstützungsangebote für Menschen, die durch die Pandemie psychosozial belastet werden.

Zweitens aber müsste auch die Kommunikationsstrategie auf diesen Umstand eingehen.

Denn so eindringlich uns professionelle Wissenschaftskommunikation das Ausmass der Gefahr für unsere Gesundheit und unser Gesundheitssystem vor Augen führt, so erschreckend klein war bislang die Bereitschaft von Teilen der Bevölkerung wie auch von Interessensgemeinschaften, die entsprechenden Schutzmassnahmen mitzutragen. Wer in der aktuellen Lage kommuniziert, sollte daher in Betracht ziehen, dass in dieser Notsituation nicht für jeden die Gesundheit die grösste Sorge ist.**

Ich bin daher der Meinung, dass die Kommunikation in einer Situation wie dieser am erfolgreichsten ist, wenn sie sich nicht auf reines «Health Messaging» konzentriert. In der Schweiz etwa erklären einige Ökonomen schon seit einer Weile eindringlich, dass zu zögerliche und zu spät getroffene Massnahmen gegen die Ausbreitung der Covid-Pandemie die Wirtschaft (und dazu zählt wohl die Kultur- und Kreativwirtschaft) erheblich schädigen werden – und zwar in viel stärkerem Ausmass, als frühe, konsequente Massnahmen es tun würden. Seit neuestem sendet sogar der Bundesrat entsprechende Botschaften aus.

Kann es gelingen, konzertierte Kommunikationsbotschaften zu erarbeiten, mit Argumenten, die sich nicht auf einen einzelnen Aspekt, nämlich den der Gesundheit, beschränken, sondern sich zusätzlich auf die Erkenntnisse verschiedener Disziplinen stützen? So nämlich könnten weitere, nicht unerhebliche Teile der Zielgruppe besser erreicht und von der Einhaltung der dringend notwendigen Massnahmen überzeugt werden. Werden die verschiedenen Akteure gemeinsame, an eine breite Bevölkerung gerichtete Kommunikationsanstrengungen unternehmen? Es ist zu hoffen.

Die Covid-Pandemie oder beispielsweise auch die Klimakrise sind zugespitzte Situationen. Im Normalfall operiert Wissenschaftskommunikation unter weniger schweren Bedingungen und ist weniger eng an politische Ziele gekoppelt. Für uns, die wir wissenschaftlich basierte Informationen vermitteln, ist daher die jetzige Zeit ausserordentlich lehrreich.

 

*Stand Oktober 2020
**Um Missverständnisse auszuschliessen: Das ist natürlich KEINE Rechtfertigung für ein Verhalten, das andere Menschen gefährdet. Ich möchte nur zu bedenken geben, dass unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Botschaften mehr oder weniger gut erreicht werden können.

 

Ich habe diesen Text ursprünglich im Oktober 2020 auf meinem LinkedIn-Profil veröffentlicht.